„Die Medien lügen doch alle“, „die schreiben doch eh‘ alle das Gleiche“, etc. Solche Sätze bekommt man häufiger zu hören. Welche psychologischen Mechanismen stecken hinter dieser einseitigen Medienbetrachtung?
Die wichtigsten Punkte:
- Viele Menschen haben das Gefühl, dass ‚die Medien‘ ihren eigenen Standpunkten gegenüber einseitig und feindselig gegenüber berichten. Dieses Gefühl ist scheinbar paradox, da Menschen normalerweise nur diejenigen Informationen aus einem Artikel erinnern, die ihrer eigenen Vormeinung entsprechen.
- Der sogenannte ‚hostile media effect‘, die Wahrnehmung von Medienberichterstattungen als tendenziös gegen die eigene Meinung gerichtet ist ein in der Psychologie häufig auftretender Fund.
- Die in der Psychologie am häufigsten benutzte Erklärung für diesen Befund ist die der ’selektiven Kategorisierung‘: es werden Pro- und Contra-Argumente gegen die eigene Position richtig eingeordnet, neutrale Argumente werden aber als Contra gegen die eigene Position gewertet.
Woher die Feindseligkeit gegenüber den Massenmedien kommt
Viele Menschen haben eine negative Einstellung gegenüber der Berichterstattung der Massenmedien – soweit, so gut. Das ist nichts Neues.
Im Netz und Fernsehen kursieren etliche Interviews, in denen Reporter mit großem Misstrauen und teilweise offener Feindseligkeit konfrontiert werden – denn das öffentlich-rechtliche Fernsehen berichte einseitig und sei nicht objektiv, so die Meinung vieler Menschen. Interessant ist dabei die Beobachtung, dass häufig ein neutraler Bericht, der bei Anhängern einer bestimmten Position für Unmut sorgt, auch bei Anhängern der entgegengesetzten Position als unfair wahrgenommen wird. Das Phänomen ist weithin als Hostile Media Effect bekannt: Darunter versteht man “die Tendenz der Anhänger einer bestimmten Position, die Medienberichterstattung als einseitig zu ihren Ungunsten gefärbt wahrzunehmen”, während diese Medienberichterstattung tatsächlich als neutral einzustufen ist.
Woher aber kommt diese negative Einstellung gegenüber Massenmedien?
Widersprüchliche Psychologie
Zunächst steht die Beobachtung nicht in Einklang mit einer mehr oder weniger etablierten Theorie aus der kognitiven Psychologie: Dem Assimilationsfehler nach (besser bekannt als confirmation bias) nimmt man eher solche Aspekte wahr, welche zur eigenen Anfangsmeinung passen.
Nehmen wir beispielsweise eine Person an, nennen wir sie Heinz. Heinz sieht sich einen neutralen Bericht über einen möglichen Verbrecher an. In dem Bericht werden gleichermaßen Argumente genannt, die für eine Verurteilung sprechen, als auch Argumente, die dagegen sprechen. Der Angeklagte erinnert Heinz wegen seines äußerlichen Erscheinungsbildes jedoch an den Nachbarn, mit dem er sich heftig streitet, wodurch Heinz das Gefühl hat, der Angeklagte sei schuldig. Der Theorie nach würde Heinz vor allem die Argumente wahrnehmen, die für eine Verurteilung sprechen. Wie soll dann das Gefühl zustande kommen, die Berichterstattung wäre unausgewogen und würde die Schuld des Angeklagten abstreiten? Eigentlich müsste Heinz durch die verzerrte Wahrnehmung sogar zum Schluss kommen, der Bericht würde für eine Verurteilung sprechen.
Bei der Wahrnehmung von Massenmedien scheinen also andere Prozesse zu greifen.
Die Existenz des Hostile Media Effects ist unumstritten und konnte vielfach nachgewiesen werden, insbesondere bei Nachrichten über Streitfragen mit stark polarisierter Anhängerschaft. Es konnte immer wieder gezeigt werden, dass ein- und dieselbe Berichterstattung als unausgewogen und zu Gunsten der Gegenposition gefärbt wahrgenommen wurde – und zwar von Anhängern beider Positionen.
Weniger einig ist sich die Forschung in der Frage, welche Prozesse auf kognitiver Ebene ablaufen, die zum Hostile Media Effect führen. Hier gibt es mehrere verschiedene Erklärungsansätze.
Kognitive Prozesse
Zum einen könnten die Informationen, die der eigenen Haltung widersprechen, mehr auffallen und in in einem Bewertungsprozess über die Medienberichterstattung salienter sind. Das bedeutet, dass diese Informationen in den Gedanken präsenter sind und daher leichter abzurufen sind. Argumente gegen die eigene Position werden durch diese Selektive Erinnerung besser erinnert, was wiederum zu einem verzerrten Urteil über die Ausgewogenheit des Berichts führt. Wir stellen fest, dass hier ziemlich genau das Gegenteil vom Assimilationsfehler geschieht. Ob diese selektive Erinnerung (selective recall) Ursache für den Hostile Media Effect ist, ist jedoch umstritten.
Ebenfalls nicht bestätigt ist der Ansatz der Different Standards. Dieser Theorie nach werden alle Informationen unverzerrt verarbeitet. Gegnerische Argumente werden also als gegnerisch wahrgenommen, neutrale Informationen als neutral und Argumente der eigenen Position als solche. Die negative Einstellung gegenüber dem Bericht rührt nun daher, dass die gegnerischen Argumente für die Streitfrage irrelevant erscheinen. Heinz findet zum Beispiel, dass eine entlastende Zeugenaussage gar nichts mit der Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu tun hat. Dass trotzdem darüber berichtet wird, hält er dann für unfair.
Natürlich ist es möglich, dass der Hostile Media Effect ganz einfach aus dem Vorurteil, Massenmedien würden einseitig und fehlerhaft berichten – demnach werden auch Berichte von diesen als gefärbt wahrgenommen. Auch zu dieser Annahme der Prior Beliefs gibt es jedoch gemischte Befunde.
Eine im Gegensatz zu den obigen Theorien recht gut bestätigte Erklärung bietet der Ansatz der Selektiven Kategorisierung. Wenn man diesem folgt, werden Argumente der eigenen Position sowie die Argumente der Gegenposition werden erstmal auch als solche wahrgenommen. Knackpunkt sind hier die neutralen Argumente, die sich weder der eigenen noch der gegnerischen Haltung klar zuordnen lassen. Diese werden nun nicht als neutral, sondern ebenfalls als Gegenargumente kategorisiert. Die gegnerische Haltung erhält dadurch in der subjektiven Wahrnehmung ein Übergewicht – voilà, da haben wir den Hostile Media Effect.
Natürlich sind theoretisch auch andere Wirkpfade möglich – sicher ist aber, dass der Hostile Effect existiert. Eine interessante Fragestellung in diesem Zusammenhang ist, inwiefern individuelle Persönlichkeitsmerkmale oder Merkmale des Berichterstatters das Auftreten des Effekts begünstigen oder hemmen. Einzug in den wissenschaftlichen Diskurs fanden zum Beispiel das Maß an Ego-Involvement – die Metaanalyse von Hansen und Kim (2011) weist darauf hin, dass der Hostile Media Effect stärker ist, wenn der Rezipient bei einem Thema besonders involviert ist. Methodische Mängel in der Studie lassen hier jedoch nur bedingt eine gesicherte Aussage zu. Wie ich finde, passt es aber zu der Feststellung, dass der Hostile Media Effect besonders bei Themen mit einer polarisierten Anhängerschaft auftritt.
Was kann man tun?
Komplett immun ist vermutlich niemand gegen den Effekt. Wehrlos ergeben muss sich aber auch niemand. Ich denke, da die Selektive Kategorisierung recht gut bestätigt ist, könnte hier auch der Punkt liegen, an dem man dem Effekt entgegentreten kann. Man sollte einfach prüfen, ob manche Informationen, die gefühlt gegen die eigene Meinung sprechen, nicht in Wirklichkeit einfach neutrale Aussagen sind. Vielleicht könnte man damit auch engstirnige Menschen zu einer etwas differenzierteren Ansicht eines Themas bewegen. “Könnte”, denn ob das wirklich funktioniert, ist eine andere Frage. Eine angemessene Reflexion über die Inhalte einer Berichterstattung kann, denke ich, schon gute Abhilfe gegen den Hostile Media Effect schaffen. Die Frage ist nur, wie viele Menschen die Motivation dazu haben – und wie viele aus Trotz darauf bestehen, Massenmedien seien feindlich.
von Benjamin Schätzlein
Quelle:
Krämer, N. C. (2008). Hostile Medie Effect. In N. C. Krämer, S. Schwan, D. Unz & M. Suckfüll (Hrsg.), Medienpsychologie (1. Aufl., S. 139–143). Kohlhammer.