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Was ist False Balance?

Mit dem Begriff ‚False Balance‘ sind wahrscheinlich noch nicht allzu viele in Berührung gekommen. Was ist damit gemeint? Und wo kann False Balance auftreten?

Die wichtigsten Punkte:

  1. ‚False Balance‘ ist ein Effekt, der im Zusammenhang von Medienberichterstattungen und wissenschaftlichen Diskursen auftritt. ‚False Balance‘ entsteht dann, wenn in Artikeln Pro- und Contra-Positionen gleichermaßen zu Wort kommen, in der Wissenschaft aber ein Konsens für eine der beiden Positionen vorliegt.
  2. Menschen können schlecht zwischen ausgewogener Berichterstattung und Ausgewogenheit in den wissenschaftlichen Meinungen differenzieren. Häufig glauben wir, wenn in einem Artikel ausgewogen berichtet wird, sei diese Ausgewogenheit auch in der Wissenschaft vorhanden.

Wo wir mit False Balance in Berührung kommen

Was haben die Medienberichterstattung über den Klimawandel und über das Impfen gemeinsam? Stellte man mir diese Frage, wäre ich wäre zunächst geneigt zu antworten: “All diese Themen produzieren Unmengen an Desinformation und Verschwörungstheorien.” Das ist auch tatsächlich der Fall, allerdings gibt es in diesem Zusammenhang noch ein weitaus interessanteres Phänomen, nämlich das der False Balance Media Coverage. Das Phänomen der False Balance fand bereits Einzug in die Medienwelt und ist wie “Fake-News” ein von bestimmten Interessengruppen benutzter Begriff geworden (1,2). False Balance meint, dass in Medienberichterstattungen eine falsche Darstellung der Gewichtigkeit von Positionen vorgenommen wird, mit dem Ziel, eine möglichst ‘ausgewogene’ Berichterstattung zu liefern.

Das Kriterium für Falschheit ist dabei meist der wissenschaftliche Diskurs und mit Gewichtigkeit wird (sofern existierend) die vorherrschende Meinung in diesem Diskurs bezeichnet.

False Balance in der Klimadebatte

Ein Beispiel mag diese recht abstrakte Definition veranschaulichen.

97% aller aktiv in Fachjournals publizierenden Klimawissenschaftler sind der Meinung, dass der menschengemachte, durch Treibhausgase verursachte Klimawandel existiert ((3),(4); (5); Für einen Überblick s. Cook et. al, 2016 (6)). Die Studie von Cook et. al (5), die dies stützt, wertete dafür beispielsweise die Abstracts von knapp 12.000 Journalartikeln aus.

Es sei hier angemerkt, dass von 11.944 Artikeln 4014 eine Position zum Klimawandel vertraten (97,1% waren der Meinung, dass es menschengemachten Klimawandel gibt)  und 2142 Paper von 1189 Autoren ausgewertet wurden. Es wurden alle Autoren angeschrieben, aber nur 1189 antworteten.

Es soll in diesem Artikel gar nicht darum gehen, ob der Klimawandel tatsächlich menschengemacht ist, in einer Demokratie ist jeder dazu berechtigt, sich seine eigene Meinung zu bilden.

Vielmehr geht es um False Balance, die nun auftritt: In Medienberichterstattungen scheint die Norm, verschiedenen Meinungen einen gleichen Raum einzuräumen zu einer Verzerrung der Wahrnehmung des wissenschaftlichen Konsens in der Öffentlichkeit zu führen. So zeigen beispielsweise Boykoff & Boykoff (7), dass in 52,65% der analysierten Artikel wichtiger Tageszeitungen (Washington Post, New York Times, etc.) ausgeglichen über den Klimawandel berichtet wurde. Dabei meint ausgeglichen aber auch tatsächlich ausgeglichen, d.h. die Meinungen von Skeptikern und Befürwortern wurden als gleichgewichtig gesetzt. Nur 35,29% der Artikel berichteten über beide Meinungen, sagten aber auch, dass der wissenschaftliche Konsens den menschengemachten Klimawandel als real ansieht. Stecula & Merkley (8) konnten zwar zeigen, dass die False-Balance innerhalb einzelner Artikel seit 1988 sank, allerdings stieg gleichzeitig die Zahl durchweg kritischer Artikel zum Klimawandel (9), sodass wir es heute mit einer neuen False Balance über die Verfügbarkeit von Medienartikeln zu tun haben. Im Vergleich zum Erscheinen in Fachpublikationen sind Klimawissenschaftler*innen hochsiginifkant unterrepräsentiert in den allgemeinen Medien (9).

Nun könnte man sagen: “Na und? Ist doch gut, dass insgesamt ein ausgeglichener Diskurs entsteht. Schließlich ist Gleichberechtigung ein wichtiger Grundsatz der Demokratie.”

Das scheint auf den ersten Blick ein valides Argument zu sein. Könnten Menschen differenzieren zwischen der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Meinungen in den Medien und der tatsächlichen Relevanz solcher Meinungen unterscheiden, wäre das auch kein Problem. Mehrere Studien konnten allerdings zeigen, dass Menschen diese Differenzierung oftmals nicht vornehmen können (10,11). So glauben beispielsweise 33% der amerikanischen Bevölkerung, dass es große Unstimmigkeiten zwischen Klimawandelwissenschaftler*innen gibt.

Kortenkamp und Basten (12) deckten dabei einen noch erschreckenderen Effekt auf: In einem Experiment untersuchten sie, wie es sich auswirken würde, wenn man eine ausgeglichene Berichterstattung präsentiert, dabei aber ausdrücklich auf die Minderheitenmeinung der Klimawandelleugner hinweist. Das verringerte zwar die wahrgenommene Unsicherheit im wissenschaftlichen Diskurs, brachte sie aber nicht auf das Level, das eine einseitige Berichterstattung hervorrief. In diesem Experiment zeigte sich demnach, dass eine einseitige Berichterstattung über den Klimawandel den wissenschaftlichen Konsens besser darstellt als eine ausgeglichene.

Warum sollte man den False Balance Effekt kennen?

Ich finde es interessant, um die Existenz des False Balance Effekts zu wissen, um gegebenenfalls Meinungen und Gefühle der Unsicherheit einordnen zu können.

Auch für die Bewertung journalistischer Artikel ist es meiner Meinung nach wichtig, diesen Effekt zu kennen. Wenn jemand an einer Zeitung kritisiert: “Die berichten doch nur einseitig über den Klimawandel”, dann liegt das daran, dass diese Zeitung sich am wissenschaftlichen Konsens orientiert und an nichts anderem. Einige Menschen werfen den neueren Medienberichterstattung oft ‘Gleichschaltung‘ vor. Gleichschaltung hat in wissenschaftlichen Diskursen (wie beispielsweise der Klimawandel einer ist) aber nichts mit einer fremden Macht zu tun, die alle Medien gleichschaltet, sondern mit einer gewissen Einstimmigkeit der Experten. Das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach so. Ob die Naturwissenschaft als einzige Quelle der eigenen Meinungsbildung herhalten soll, kann hinterfragt werden und bleibt jedem selbst überlassen. Allerdings kann ich, meiner Meinung nach, einer Zeitung in dieser Sache, vor allem vor dem Hintergrund des False-Balance Effekts, nicht vorwerfen, einseitig zu berichten. Wenn ich anderweitige Informationen suche, die aus wissenschaftsfremden Gebieten kommen, dann kann ich auf andere Quellen zurückgreifen und meine eigene Meinung dazu bilden.

von Timon Hruschka

Quellen

(1) Paul, M. (n.d.). Interview: Warum man Fakten und Meinung trennen sollte. MDR Sachsen-Anhalt. Abgerufen von https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/interview-wissenschaft-und-journalismus-false-balance-fakt-meinung-100.html

(2) Spayd, L. (September 10, 2016). The truth about ‘false balance’. The New York Times. Abgerufen von https://www.nytimes.com/2016/09/11/public-editor/the-truth-about-false-balance.html

(3) Anderegg, W.R.L., Prall, J.W., Harold, J., & Schneider, S.H. (2010). Expert credibility in climate change. PNAS, 127(27), 12107-12109. https://doi.org/doi/10.1073/pnas.1003187107

(4) Oreskes, N. (2005). The scientific consensus on climate change. Science, 306(5702), 1686. https://doi.org/10.1126/science.1103618

(5) https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/8/2/024024/pdf

(6) Cook, J., Oreskes, N., Doran, P. T., Anderegg, W. R., Verheggen, B., Maibach, E. W., Carlton, J.S., Lewandowsky, S., Skuce, A.G., Green, S.A., Nuccitelli, D., Jacobs, P., Richardson, M., Winkler, B., Painting, R. & Rice, K. (2016). Consensus on consensus: a synthesis of consensus estimates on human-caused global warming. Environmental Research Letters, 11(4), Article 048002.

(7) Boykoff, M.T., & Boykoff, J.M. (2004). Balance as bias: Global warming and the US prestige press. Global Environmental Change, 14, 125-136. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2003.10.001 

(8) Stecula, D.A., & Merkley, E. Framing climate change: Economics, ideology, and uncertainty in american news media content from 1988-2014. Frontiers in Communication, 4(6). https://doi.org/10.3389/fcomm.2019.00006

(9) Petersen, A.M., Vincent, E., & Westerling, A.L. (2019). Discrepancy in scientific authority and media visibility of climate change scientists and contrarians. Nature Communications, 10(3502). https://doi.org/10.1038/s41467-019-09959-4

(10) Koehler, D.J. (2016). Can journalistic “false balance” distort public perception of consensus in expert opinion? Journal of Experimental Psycholoy: Applied. Advance online publication. http://dx.doi.org/10.1037/xap0000073

(11) Leiserowitz, A., Maibach, E. W., Roser-Renouf, C., Feinberg, G., & Howe, P. (2013). Climate change in the American mind: Americans‘ global warming beliefs and attitudes in April 2013. SSRN, Article 2298705. http://doi.org/10.2139/ssrn.2298705

(12) Kortenkamp, K. V., & Basten, B. (2015). Environmental science in the media: Effects of opposing viewpoints on risk and uncertainty perceptions. Science Communication, 37(3), 287-313. https://doi.org/10.1177%2F1075547015574016