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Framing und der Begriff der Neiddebatte

Framing gehört sicherlich zu einem der häufigsten und am meisten missverstandenen medienpsychologischen Fachbegriffen in der Medienwelt. Das liegt 1. an der oft unklaren Verwendung und 2. an einer Selbstüberschätzung von Medien, anschlussfähige Kommunikation in RezipientInnen zu erzeugen.

Was ist Framing?

Grundlegend bedeutet Framing einfach nur, dass Nachrichtenbeiträge in bestimmte Bedeutungsumfelder eingebettet werden (1). In Medienpsychologie: Schlüsselbegriffe und Konzepte (1) finden wir daher die folgende Zusammenfassung von verschiedenen Framing-Definitionen: “Frames strukturieren (wahrgenommene) Realität, sie bieten eine Definition und Bewertung des Problems sowie möglicherweise eine Ursachenzuschreibung und damit verbundene Handlungsempfehlungen”

Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Mensch generell “nur einen Bruchteil der auf ihn einströmenden Informationen aufnehmen und verarbeiten” (2) kann und daher bestimmte Schemata braucht, mit denen sie/er aus der Welt einströmende Sinnesinformationen einordnet. Kognitive Schemata sind meist unbewusste und stabile Vorannahmen, mit denen wir neue Information einordnen und sortieren. Beispielsweise habt Ihr wahrscheinlich beim Lesen dieses Artikels ein Schema von Blogartikeln, das eure Erwartungen an diesen Artikel und die Einordnung der Informationen, die Ihr in diesem Artikel erhaltet, bestimmt.

Framing ist also erst einmal nichts grundlegend böses, wie das in einigen ‘alternativen Medien’ gerne behauptet wird (die notwendigerweise selbst wieder Framing betreiben). Framing ist etwas, das uns hilft, Komplexität zu reduzieren und oft automatisch stattfindet. Framing kann schon darin bestehen, ob in einem Zeitungsartikel eher Individuen oder Institutionen zu Wort kommen, ob ein Prozess oder ein statischer Sachverhalt beschrieben wird oder welche Einleitung ein/e Journalist/in wählt.

Der Begriff der Neiddebatte – Grundlegendes

Der Begriff der ‘Neiddebatte’ ist ein solches Framing für eine bestimmte Diskussion. Dieser Begriff taucht in Zeitungsartikeln häufiger einmal auf. Momentan ist er vor allem im Zusammenhang mit einer rechtlichen Besserstellung von bereits gegen SARS-Cov2 Geimpften und der Impfreihenfolge verbunden. Im heutigen Artikel wollen wir uns auf die möglichen Wirkungen dieses Framings konzentrieren.

Grundlegend lässt sich erstmal der Argumentationsfehler des Argumentum ad Baculum und der Straw Man Fallacy erkennen. Wer eine Debatte aus Neid führt, der/dem muss nicht zugehört werden. Dabei übersehen die VerfechterInnen eines Neiddebattenbegriffs beflissentlich, dass die Argumentationen, die vorgebracht werden, mit dem Gefühl des Neides meist überhaupt nichts zu tun haben. Hier wird entweder die/der Vorbringende angegriffen, was dann zusätzlich noch ein Argumentum ad hominem ist, oder ein Argument wird allgemein als Ausdruck eines Neides gesehen. Auch letzteres ist nur dann relevant, falls der Neid eine Voraussetzung des Arguments selbst ist. Solange die/der Vortragende aber aus Neid ein Argument vorbringt, dass selbst keinen Neid voraussetzt, spielen etwaige Neidgefühle keine Rolle bei der Evaluation des Argumentes. Das allein wäre schon ein Grund, auf den Begriff der Neiddebatte zu verzichten, denn einige Argumente in der sogenannten Neiddebatte haben als Argumente überhaupt nichts mit Neid zu tun.

Neiddebatte und Framing

Im folgenden möchte ich anhand des Begriffs der Neiddebatte zusätzlich noch ein paar Theorien und Ergebnisse zum Thema Framing vorstellen, da dies ein interessantes und oft missverstandenes Thema ist. Wir interessieren uns in diesem Artikel für die psychologische (und später auch die soziologische) Komponente eines solchen Framings, d.h. wir setzen uns mit der Medienwirkungsforschung auseinander. Uns interessieren die Wirkungen von Framing bei MedienrezipientInnen, nicht die Weise der Produktion von Frames. Es interessieren uns auch keine Spekulationen über etwaige Gründe.

Framing als Medienwirkung lässt sich nach Scheufele (2) in vier Effekten beobachten.

  1. Medienberichterstattungen können bereits bestehende kognitive Schemata verändern.
  2. Die Verknüpfungen zwischen bereits bestehenden Schemata können verändert werden.
  3. Neue Vorstellungen werden anhand bereits existierender Schemata geschaffen.
  4. Durch Aktivierung bereits vorherrschender Schemata wird die Einstellung des/r Rezipierenden auf den nachfolgenden Medieninhalt beeinflusst.

Framing ist dabei in verschiedener Art erfolgreich.

Bezüglich unseres Themas können wir beispielsweise eine Studie von Shah et. al (4) betrachten. Wenn Nachrichten in einer bestimmten Weise geframet werden, hat das Auswirkungen auf Einstellungen gegenüber sozialen Sachverhalten wie beispielsweise Politik oder der Zuschreibung von Schuld. Außerdem bestimmt die Art eines Frames die Art und Weise, wie wir neue Informationen verarbeiten. Wichtig ist hier, dass Frames tatsächlich die Art und Weise der Verarbeitung verändern. In der Studie von Shah et. al (4) ging es um das Framing eines Radioberichts über das Wachstum von Städten. Gemessen wurde die Komplexität der kognitiven Verarbeitung, d.h. wie komplex die aus der neuen Information gewonnenen ‘Weltbilder’ waren (Je komplexer, desto besser). Während der faktische Inhalt immer gleich blieb, veränderten die ForscherInnen das Framing des Themas, indem beispielsweise einzelne Personen die Auswirkungen des Städtewachstums auf ihre Familien erläuterten (= individual framing), die negativen Auswirkungen gegeneinander abgewogen wurden (= loss framing) oder die positiven Auswirkungen gegeneinander abgewogen wurden (= gain framing). Insgesamt ergaben sich durch die Versuchsanordnung folgende 6 Gruppen:

 

Auswirkung auf Individuum Auswirkung auf Individuum und Gesellschaft Auswirkung auf Gesellschaft
negative Effekte negativ – Individuum negativ – mixed negativ – Gesellschaft
positive Effekte positiv – Individuum positiv – mixed positiv – Gesellschaft

Es wurden zwei Hypothesen postuliert:

  1. Individuelle negative Frames würden mehr kognitive Komplexität hervorrufen als individuelle positive, da die negativen Informationen für die Individuen dringlicher sind als die positiven.
  2. Positive gesellschaftliche Frames würden mehr kognitive Komplexität hervorrufen, da die bisherige sozialwissenschaftliche Forschung zeigte, dass Individuen vor allem auf positive gesellschaftliche Effekte abzielen. Warum das so ist, ist Forschungsgegenstand anderer Arbeiten!

Beide Hypothesen konnten bestätigt werden, wobei die Effekte vor allem bei positiven Effekten auf die Gesellschaft auftraten. Framing erhöht also – und das ist in diesem Zusammenhang wichtig – die Komplexität der kognitiven Verarbeitung vor allem bei positiven gesellschaftlichen Frames.

Kommen wir mit dieser Erkenntnis zurück zum Begriff der ‘Neiddebatte’. Das ist sicherlich ein negativer Frame für einen gewissen Diskurs. Diejenigen, die neidisch sind, wirken sich auf die Gesellschaft in negativer Art und Weise aus. Was wir nun mit den Ergebnissen aus Shah et. al (4) folgern können, ist dass der Begriff der Neiddebatte die Komplexität der Verarbeitung von Informationen reduzieren wird. Einfacher ausgedrückt: Wir werden, wenn wir eine Debatte unter diesem Begriff betrachten, Argumentationen dieser Debatte vereinfachen und so der Komplexität der Argumentationen vermutlich nicht gerecht werden.

Egal welche Meinung man nun in dieser Debatte vertritt, das Ziel sollte eigentlich sein, die Komplexität einer solchen Debatte zuzulassen und nicht unangemessen zu vereinfachen. Der Frame der ‘Neiddebatte’ wird daher in Ansehung der psychologischen Forschungsliteratur wahrscheinlich unerwünschte Nebenfolgen haben.

Neiddebatte und moralisierende Kommunikation

Eine zweite unerwünschte Nebenfolge lässt sich mit dem Soziologen Niklas Luhmann benennen (5). In Ökologische Kommunikation stellt Luhmann die negativen Folgen der Moralisierung von Kommunikation heraus. Moral ist eine Art der Kommunikation, die bestimmt, ob Menschen in der Gesellschaft Achtung oder Missachtung zukommt. Moralisch handelnde Menschen werden geachtet, solche die es nicht tun, werden missachtet. Dabei ist Moral nicht per se verwerflich, denn ohne Moral würden wir uns schwer tun, unsere sozialen Systeme zu erhalten (für den heutigen Beitrag muss das einfach so hingenommen werden, zur Theorie sozialer Systeme wird es in der Zukunft noch eigene Beiträge geben).

Nun gibt es gewisse Emotionen, die direkte moralische Relevanz haben. Luhmann nennt dabei vor allem ‘Angst’, die als solche bereits Moral impliziert. Wer Angst hat, kann nicht unmoralisch sein und wer gegen die Angst eines/r Anderen handelt, ist automatisch unmoralisch. Ähnlich könnte man für ‘Neid’ als ein moralisch aufgeladenes Gefühl argumentieren: Wer aus Neid handelt, handelt per se unmoralisch. Indem das Framing der ‘Neiddebatte’ also allen VertreterInnen einer bestimmten Position ein Handeln/Kommunizieren aus Neid zuschreibt, wird Ihnen unmoralisches Verhalten zugeschrieben und damit auch gesellschaftliche Achtung entzogen.
Daraus folgt aber nach Luhmann nicht, dass diejenigen, denen die Achtung entzogen wird, einfach ihr Verhalten ändern. Es wird vermutlich eher die Kommunikation der Gegenseite abgelehnt, die Seite also, die den Begriff der Neiddebatte favorisiert. Was nun entsteht, sind zwei Parteien, die sich unversöhnlich gegenüberstehen und durch ihre jeweiligen Kommunikationsakte (in diesem Fall also der Austausch von Argumenten) keine Anschlusskommunikation bei der Gegenseite mehr hervorrufen können. Wir können das für die heutige Zeit so oft beobachtete Spaltungsphänomen beobachten, das besagt, dass eine Seite einer Diskussion nicht mehr mit der anderen reden will oder kann.

Die zweite ungewünschte Nebenfolge des Neiddebattenbegriffs liegt also in dessen moralisierender Kommunikation, die zu einer unaufhebbaren Spaltung der DebattenpartnerInnen führen kann.

Ist Framing wirklich so schlimm?

In diesem Artikel wurde viel über Framing gesprochen. Die obenstehenden Ausführungen mögen im Widerspruch zu der Anfangsbehauptung stehen, dass Framing mit medialer Selbstüberschätzung einhergeht. Dazu noch eine kleine Schlussbemerkung:

Eine metaanalytische Untersuchung von Gesundheitskommunikation fand keine signifikanten Effekte verschiedener Frames auf Einstellungen und Absichten. Auf tatsächliches Verhalten hatten die Frames dann jedoch signifikante Auswirkungen, wobei auch diese Effekte nicht sehr groß waren (6). Die Effekte von Framing sind also nicht immer so schlimm, wie das manchmal zu lesen oder zu hören ist. Die Wirkung von Framing ist stark vom Thema und vom Vorwissen der RezipientInnen abhängig.

Noch wissen die Framing-ForscherInnen zu wenig, um abschließend sagen zu können, wie genau, wie stark und in welchen Kontexten genau Framing wirkt. Sicher scheint zu sein, dass Framing unsere Verarbeitung neuer Information verändert und dass u.a. die Komplexität unserer Weltbilder von Framing abhängig ist. Forschung zu Framing zeigt auch, dass Begriffe wie ‘Neiddebatte’ u.a. schädliche Effekte auf die betreffenden Diskurse haben können. Wie stark solche Effekte sind, bliebe zu untersuchen. Was trotzdem kein Grund ist, das negative Framing von Debatten nicht zu unterlassen.

 

von Timon Hruschka

Quellen:

(1) Krämer, N., Schwan, S., Unz, D., & Suckfüll, M. (Eds.). (2016). Framing. In: Medienpsychologie: Schlüsselbegriffe und Konzepte. Kohlhammer Verlag.

(2) Bonfadelli, H., & Friemel, T. N. (2017). Framing. In: Medienwirkungsforschung. UTB.

(3) Scheufele, B. (2003). Frames – Framing – Framing Effekte. Westdeutscher Verlag

(4) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/j.1468-2958.2004.tb00726.x (Shah et. al).

(5) Luhmann, N. (1986). Ökologische Kommunikation. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

(6) http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.466.5812&rep=rep1&type=pdf