Was bringt Menschen dazu, von Glaubenssätzen überzeugt zu sein, für die sie keine Belege angeben können? Das Verständnis der zugrundeliegenden mentalen Prozesse ist ein wichtiges um verstehen zu können, warum Menschen Verschwörungsmythen glauben und verbreiten.
Die wichtigsten Punkte:
- Verschwörungsmythen gehen oft mit einem Glauben an unbegründete und unbegründbare Überzeugungen einher. Dieser Glauben kann verschiedene negative Effekte haben.
- Unbegründete Überzeugungen können mithilfe von analytischem Denken aufgedeckt und hinterfragt werden. Voraussetzung ist, dass wir aus der richtigen Motivation heraus arbeiten.
Verschwörungserzählungen und unbegründete Überzeugungen
Es gibt momentan viele Artikel zum Thema Verschwörungsglauben zu lesen. Von QAnon über Bill Gates Impfverschwörungen und geheime Laborexperimente in Wuhan werden durch die Coronakrise Verschwörungsmythen aller möglichen Richtungen prominent. Dabei sind die verschiedenen Glaubenssätze unterschiedlich absurd. Während ein unkontrollierter Ausbruch des Coronavirus aus einem Labor noch möglich erscheint, obwohl die meisten Expert*innen von einem tierischen Ursprung ausgehen (1,2,3,4), ist die These, dass amerikanische Promis Kinderblut trinken, um durch Adrenochrom eine ewige Verjüngungskur zu betreiben, widersprüchlich und chemisch betrachtet unmöglich (5,6).
Den meisten Verschwörungsmythen ist eine Gemeinsamkeit eigen: Die Überzeugungen, die in ihnen ausgedrückt werden, sind oft nicht beweisbar. Weder gibt es Beweise für die Nutzung von Adrenochrom als Anti-Aging Mittel, noch für die Beteiligung von Lady Gaga an einem Ring von Kinderschmuggler*innen, noch gibt es (bis jetzt) handfeste Beweise für einen Ausbruch des Coronavirus aus einem Labor. Daher spricht auch Roland Wiesendanger, ein Befürworter der ‚Laborthese‘, von Indizien, die er gesammelt hat. Diese Unbeweisbarkeit von verschwörungsmythischen Überzeugungen bringt uns zu der Frage: „Warum glauben Menschen das eigentlich?“
Motivationen, an Verschwörungsmythen zu glauben
Allgemein wird in der Psychologie der Verschwörungserzählungen davon ausgegangen, dass es drei übergeordnete Faktoren gibt, aufgrund derer Menschen an Verschwörungserzählungen glauben (7):
1. Epistemische Motivationen: Mit ‚epistemisch‘ werden in der Philosophie und der Psychologie meist Faktoren bezeichnet, die etwas mit der Erzeugung von Wissen oder Glaubenssätzen zu tun haben. In diesem Fall heißt ‚epistemische Motivation‘, dass wir eine Motivation haben, unsere Umwelt zu verstehen. Wir möchten beispielsweise wissen, was momentan in der Politik passiert, um unser Wahlverhalten danach ausrichten zu können. Daher haben wir eine epistemische Motivation, die aktuelle Lage in der Politik zu verstehen.
2. Existentielle Motivationen: Hiermit werden Motivationen bezeichnet, die grundlegend zum Menschsein dazugehören. So fühlen sich Menschen beispielsweise generell unwohl, wenn sie keine Kontrolle über ihre aktuelle Situation haben. Eine existentielle Motivation ist es nun, Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen und zu erhalten.
3. Soziale Motivationen: Von unserer sozialen Umgebung hängt unter anderem unser Selbstbild ab. Die Meinungen anderer Menschen über uns bestimmen maßgeblich mit, welche Meinungen wir selbst über uns bilden (8). Daher ist es ein menschliches Grundbedürfnis, einer sozialen Gruppe zugehörig zu sein und ein positives Bild über diese soziale Gruppe zu erhalten. Wäre das Bild der eigenen sozialen Gruppe negativ, so würde das auch auf das Selbstbild abfärben.
Unbegründete Überzeugungen als epistemische Motivation
Das Vertreten von unbegründeten Überzeugungen (unfounded beliefs) gehört zum ersten der oben beschriebenen Faktoren. Da es sich hier um Überzeugungen handelt, sucht die Wissenschaft nach epistemischen Motivationen, diese Überzeugungen zu vertreten und zu erhalten. Wie wir eingangs festgestellt haben, sind Verschwörungstheorien häufig dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht beweisbar sind. Doch nicht nur in Verschwörungstheorien sind unbegründete Überzeugungen weit verbreitet: 37% der Amerikaner*innen und 40% der Brit*innen glaubten 2005, dass Häuser von Geistern besessen sein könnten. 24% der Amerikaner*innen glaubten, dass irgendwann in der Vergangenheit außerirdische einmal die Erde besucht hätten (9). Da es keinerlei Belege für solche Ereignisse gibt, sind diese Überzeugungen per definition unbegründet.
Diese unbegründeten Überzeugungen können negative Auswirkungen haben (10). Indem das Gefühl von Hilfslosigkeit entsteht, können Verschwörungserzählungen über Politik beispielsweise zu geringerer Wahlbereitschaft führen. Ebenfalls führt das Gefühl der Hilflosigkeit, das von klimaskeptischen Verschwörungsmythen induziert wird, zu einer geringeren Bereitschaft, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern (11). Ferner glauben Menschen, die Verschwörungserzählungen glauben schenken, weniger an wissenschaftlich erwiesene Tatsachen, wie beispielsweise den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs (12).
Interessanterweise glauben Menschen, die einige unbegründete Überzeugungen erhalten, auch an andere, sachlich komplett verschiedene (13). So fanden beispielsweise Swami et al. (14) heraus, dass der Glaube an eine von den Autor*innen erfundene RedBull Verschwörung mit dem Glauben an übernatürliche Phänomene zusammenhing. Dabei hatten diese übernatürlichen Phänomene keine sachlichen Überschneidungen mit der RedBull Verschwörung.
„[Unbegründete Überzeugungen können] daher als eine Ansammlung von selbstverstärkenden Überzeugungen verstanden werden, die verschiedene schädliche körperliche und soziale Konsequenzen haben.“ (Adam-Troian et al. (10))
Die Rolle von analytischem Denken
Ein Vorhersagekriterium für das Vertreten von Unbegründeten Überzeugungen ist analytisches Denken (wie auch in diesem Artikel zu Fake News). Analytisches Denken kann grob als Fähigkeit verstanden werden, Probleme zu reflektiert zu lösen, die eine intuitive falsche Lösung suggerieren. Ein Beispiel ist das Nachdenken über folgende Aufgabenstellung:
“Ein Tennisschläger mitsamt Tennisball kostet 1,10€. Der Schläger kostet 1€ mehr als der Ball. Wie viel Euro kostet der Ball?”
Die intuitive Antwort, die auch meistens gewählt wird, ist ’10 Cent‘. Würde der Ball 10 Cent kosten, so würde der Schläger aber 1€ mehr als der Ball und damit 1,10€ kosten. Der Gesamtpreis wäre dann 1,20€ und nicht 1,10€ wie in der Aufgabenstellung gefordert. Je mehr man zu analytischem Denken fähig ist, desto mehr denkt man über solche Probleme nach und findet die richtige, mit Anstrengung verbundene Lösung.
Ståhl & Prooijen (13) stellen zwei Erklärungen heraus, warum analytisches Denken zu weniger unbegründeten Überzeugungen führt:
- Haben unbegründete Überzeugungen, z.B. in Verschwörungstheorien, oft einen intuitiven Appellcharakter. Sie appellieren an Emotionen und Intuitionen, halten einer analytischen Betrachtung aber nicht stand. Diese analytische Betrachtungsweise muss jedoch erst einmal eingenommen werden.
- Analytisches Denken kann dazu führen, dass wir Begründungen besser abwägen können. Dass Bill Gates ein weltweites Impfprogramm finanziert ist beispielsweise kein guter Grund anzunehmen, dass er hinter dem Coronavirus steckt. Intuitiv betrachtet könnte da zwar ein Zusammenhang bestehen. Bei genauerem Nachdenken fallen einem aber Unmengen an Alternativerklärungen ein, sodass man durch diesen Sachverhalt bei rationaler Betrachtungsweise keinen Grund hätte, aufgrund dieser Information nun mehr an eine Impfverschwörung zu glauben, als ohne die Information. Dieses Abwägen, ob eine Information nun ein guter oder schlechter Grund ist, an etwas zu glauben, ist auch eine Fähigkeit, die mit analytischem Denken einhergeht.
Analytisches Denken ist aber kein Allheilmittel. Bei der Betrachtung und dem Aufbau von Überzeugungen spielen auch andere Motivationen eine Rolle. So greifen Menschen häufig nur dann auf analytisches Denken zurück, wenn sie dazu motiviert sind. Außerdem kann eine gute Fähigkeit zu analytischem Denken auch ’nach hinten losgehen‘. So können Menschen, die gute analytische Denkfähigkeiten besitzen, besser irrationale Überzeugungen verteidigen oder wissenschaftliche Erkenntnisse kritisieren, die nicht der eigenen Vormeinung entsprechen (13).
Ståhl & Prooijen (13) zeigen, dass analytisches Denken nur dann wirksam gegen unbegründete Überzeugungen ist, wenn man die Motivation besitzt, in rationaler Art und Weise nach Wahrheit zu streben. Das schließt auch den Wunsch mit ein, eigene Überzeugungen in rationaler Weise zu hinterfragen. Wenn die Motivation nur lautet, dass eigene Weltbild möglichst konstant zu halten, so hilft analytisches Denken nicht gegen unbegründete Überzeugungen.
Darauf aufbauend konnten Adam‐Troian et al. (10) zeigen, dass eine kurze Beantwortung von Fragen wie: „Für wie wichtig halten sie Rationalität?“, ausreicht, um einen signifikanten Unterschied im Aufbau von unbegründeten Überzeugungen hervorzurufen.
Was können wir aus der Forschung lernen?
Was können wir daraus mitnehmen? Einerseits sind unbegründete Überzeugungen nicht unbedingt auch ungefährlich. Sie können negative Auswirkungen auf unser soziales und gesundheitliches Leben haben. Als Gegenmittel gegen solche Überzeugungen hilft analytisches Denken, also das Hinterfragen intuitiv als richtig gefühlter Antworten. Dabei ist es wichtig, dass wir mit der Motivation herangehen, die Wahrheit zu finden und nicht nur unser Weltbild zu bestätigen. Sonst kann analytisches Denken auch negative Effekte hervorrufen.
von Timon Hruschka
Quellen
(1) https://www.researchgate.net/profile/Allison-Wilson/publication/343107535_A_Proposed_Origin_for_SARS-CoV-2_and_the_COVID-19_Pandemic_httpswwwindependentsciencenewsorgcommentariesa-proposed-origin-for-sars-cov-_2-and-the-covid-19-pandemic/links/5f171924299bf1720d56c1f2/A-Proposed-Origin-for-SARS-CoV-2-and-the-COVID-19-Pandemic-https-wwwindependentsciencenewsorg-commentaries-a-proposed-origin-for-sars-cov-2-and-the-covid-19-pandemic.pdf
(2) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/bies.202000240
(3) https://www.tagesschau.de/ausland/asien/corona-experten-in-wuhan-101.html
(4) https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburger-Forscher-Coronavirus-stammt-wohl-aus-Labor,corona6764.html
(5) https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF02598654.pdf
(6) https://www.derstandard.de/story/2000117663175/was-ist-dran-an-der-adrenochrom-verschwoerung
(7) https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0963721417718261
(8) Aronson, E., Akert, R. M., & Wilson, T. D. (2010). Sozialpsychologie. Pearson Deutschland GmbH.
(9) https://news.gallup.com/poll/19558/paranormal-beliefs-come-supernaturally-some.aspx
(10) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/acp.3547
(11) https://www.researchgate.net/publication/259585427_The_social_consequences_of_conspiracism_Exposure_to_conspiracy_theories_decreases_intentions_to_engage_in_politics_and_to_reduce_one%27s_carbon_footprint
(12) https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0956797612457686
(13) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0191886917306323?via%3Dihub
(14) https://bpspsychub.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.2044-8295.2010.02004.x