Durch die Covid-19 Pandemie haben die meisten Menschen Bekanntschaft mit Online-Videokonferenzsystemen gemacht. Bei vielen scheint es vermehrte Müdigkeit hervorzurufen, wenn man online telefoniert. Es stellen sich die Fragen: Woher kommt diese Müdigkeit?; Sind Videokonferenzen wirklich das Mittel der Zukunft?
Ein Artikel sollte nie mit der Phrase: „jeder kennt es…“, anfangen, denn diese Phrase wurde schon häufig in Kontexten verwendet, in denen die wenigsten ‚es‘ kannten. Im Zusammenhang mit online Videokonferenzen wäre ein solcher Anfang trotzdem berechtigt. In Zeiten der Covid-19 Pandemie haben viele Menschen Bekanntschaft mit Videokonferenzsystemen wie Zoom gemacht. Ein paar Daten untermauern diesen Fakt: Während im Februar 2020 noch 106 Millionen Besuche auf die Website ‚zoom.us‘ gemessen wurden, waren es im April 2020 bereits 1904 Millionen (= knapp 2 Milliarden) und im November 2020 sogar 2790 Millionen (1).
Ähnlich rasant waren die Downloads der Zoom App im Apple App-Store gestiegen, die im März 2021 mit 35 Millionen ihren Höchststand erreichten (2).
Nachdem nun etabliert ist, wie relevant das Thema dieses Blogartikels ist, können wir uns den beiden Fragestellungen zuwenden.
Zoom Fatigue
Der Begriff ‚Zoom Fatigue‘ ist eine Wortneuschöpfung, die mit dem vermehrten Nutzen von Videokonferenzsystemen an Bedeutung gewann. Sie bezeichnet das Phänomen, dass viele Menschen sich nach Videokonferenzen besonders müde oder ausgelaugt fühlen – im Gegensatz zu ‚face-to-face‘ Konferenzen. Zoom Fatigue bezieht sich natürlich nicht nur auf Zoom, auch bei einer Konferenz über Skype for Business kann man Zoom Fatigue empfinden.
Das Phänomen ist in der Medienpsychologie noch nicht gut untersucht: Es gibt zwar Studien, die sich mit online Videokonferenzen beschäftigen; dies aber oft nur über Zeiträume von weniger als einer Stunde und nicht im Layout von Zoom (o.ä.). Trotzdem hat Bailenson (3) den Versuch unternommen, die Gründe für Zoom Fatigue zu systematisieren – anhand bisheriger Forschungsergebnisse.
Bailenson’s vier Gründe für Zoom Fatigue
Bailenson’s vier Gründe für Zoom Fatigue lassen sich auf deutsch folgendermaßen zusammenfassen: 1. Starren auf kurzer Distanz, 2. (erhöhte) kognitive Belastung, 3. der Ganztagesspiegel und 4. verringerte Bewegung. Im Folgenden nehmen wir die Gründe einmal genauer unter die Lupe.
‚Starren auf kurzer Distanz‘
Egal von welchem Endgerät aus ihr an Zoomkonferenzen teilnehmt: Meist ist dieses sehr nah an euren Augen. Wenn ihr euch über euren Laptop in eine Konferenz einloggt, dann sitzt ihr vermutlich so nah daran, dass ihr Tastatur und Touchpad gut erreichen könnt. Loggt ihr euch per Handy ein, so haltet ihr es vermutlich nah an euer Gesicht, damit ihr überhaupt etwas sehen könnt. Ist der Desktop-PC das Medium eurer Wahl, so platziert ihr euch vermutlich so nah am Bildschirm, dass eure Kamera euch, und nicht den Rest eures Zimmers, im Fokus hat.
Bailenson (3) bringt das Beispiel eines Fahrstuhls. Stellt euch vor, ihr seid mit einer anderen Person, die ihr nicht gut kennt, in einem Fahrstuhl. Starrt ihr dieser Person dauerhaft in die Augen? Vermutlich nicht! Wir Menschen würden uns unwohl dabei fühlen, einer weitestgehend fremden Person auf kurzer Distanz dauerhaft in die Augen zu blicken.
Doch genau das ist es, was wir in Zoom-Meetings dauerhaft machen. Wir halten 1) so lange Augenkontakt mit anderen Personen, wie wir es normalerweise nur mit Freunden täten; und 2) sind wir dem Gegenüber so nah, wie wir es normalerweise nur bei engen Freunden zuließen. Dadurch können wir uns unbehaglich fühlen und zusätzlich kann das Stresslevel des Körpers erhöht werden.
‚Kognitive Belastung‘
Dieser Punkt lässt sich einfach umschreiben: In Videokonferenzen müssen wir mehr als in face-to-face Situationen darauf achten, welche nonverbalen Hinweise wir anderen Teilnehmenden vermitteln; und wie wir die nonverbalen Hinweise anderer Teilnehmende:r zu interpretieren haben. In face-to-face Situationen läuft nonverbale Kommunikation meist automatisch. In Zoom-Meetings müssen wir beispielsweise übertrieben nicken, denn einfaches Nicken ist oft nicht zu sehen. Die Nachfrage: „Hört man mich?“, ist mittlerweile zum Standardrepertoire einer Wortmeldung geworden. Jeder von euch kann sich sicherlich einige Situationen ausmalen, in denen ihr aktiv überlegen musstet, welche Signale ihr (non-)verbal senden müsst, damit eure Nachricht auch richtig ankommt. Das erhöht die kognitive Belastung, die unser Gehirn zu stemmen hat. Dadurch wird einerseits schwerer, sich auf andere Aufgaben zu konzentrieren und andererseits wird man schneller müde: Zoom Fatigued eben.
‚Der Ganztagesspiegel
Damit ist nicht die Zeitung gemeint, sondern der Fakt, dass wir uns in einem Zoom-Meeting dauerhaft selbst betrachten dürfen.
Wir schauen konstant in einen Spiegel und sind uns gleichzeitig bewusst, dass andere Menschen uns ebenfalls beobachten. Das führt zu einem verstärkten Drang, uns selbst zu bewerten. Diese Selbstbewertung führt einerseits zu verstärktem prosozialen Verhalten – wir verhalten uns während der Meetings wahrscheinlich sozial angepasster als normal -, andererseits zu erhöhtem Stress. Eine Metaanalyse von Fejfar et al. (4) untersuchte den Zusammenhang von verstärkter Selbstwahrnehmung und Wohlbefinden und fand kleine – aber signifikante – Auswirkungen auf negative Affekte. Diese Effekte waren interessanterweise stärker für Frauen als für Männer.
‚Verringerte Bewegung‘
Auch dieser Punkt ist ein einfacher: Wenn wir an Videokonferenze teilnehmen, bewegen wir uns weniger als bei echten Konferenzen. Die Höflichkeit gebietet, dass wir im Blickfeld der Kamera bleiben und nicht anfangen, uns aus dem Blickfeld zu bewegen. Auch eingeschränkt wird das Gestikulieren – obwohl es mit positivem Lernerfolg einhergeht. Kinder, die während der Erklärung einer mathematischen Gleichung gestikulieren sollten, lernten besser als solche, die nur sprachen (5). Ferner schränkt die Teilnahme an Zoom-Meetings die Möglichkeit an Nebenaktivitäten ein. Beim normalen Sprechen – z.B. auch über das Telefon – machen wir viele kleine Nebenaktivitäten, die uns entspannen können. Dadurch, dass diese Möglichkeit eingeschränkt wird – wir wollen ja nicht unhöflich wirken – kann Zoom Fatigue hervorgerufen werden.
Was tun?
Das Phänomen ‚Zoom Fatigue‘ ist noch nicht gut untersucht. Momentan wird versucht, Ergebnisse aus anderen Forschungsbereichen auf Zoom und Co zu übertragen. Anhand dieser Forschungsergebnisse lassen sich einige Empfehlungen ableiten, was gegen Zoom Fatigue unternommen werden könnte:
- Das eigene Bild verbergen. Wenn ihr euer eigenes Bild verbergt, sollten es weniger Stress hervorrufen. Dadurch sollte auch die Zoom Fatigue reduziert werden.
- Mehr Distanz zum Monitor einnehmen. Das Starren auf kurze Distanz lässt sich vermeiden, indem die Distanz zum Monitor vergrößert wird – falls das denn möglich ist.
- Bewegung: Versucht, nicht an eurem Platz vor dem Bildschirm festzukleben. Steht auf, holt euch ein Glas Wasser, holt euch einen Notizblock, falls ihr etwas aufschreiben möchtet. Mehr Bewegung kann gegen Zoom Fatigue helfen. Um mehr Bewegung zu ermöglichen, können auch reine Audio-Meetings durchgeführt werden. Dabei ist der Druck, sich nicht zu bewegen nicht so stark wie im Falle von Video-Meetings.
Nun ist in diesem Artikel viel spekuliert worden. Was ein Jahr Forschung zu Zoom und Co bisher ergeben hat, erfahrt ihr in einem der nächsten Artikel.
von Timon Hruschka
Quellen
(1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1113081/umfrage/anzahl-der-visits-pro-monat-von-zoom/
(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1113689/umfrage/anzahl-der-downloads-von-zoom-ueber-den-apple-app-store-weltweit/
(3) https://tmb.apaopen.org/pub/nonverbal-overload/release/1?utm_campaign=Seven%20Point%20Sunday&utm_medium=email&utm_source=Revue%20newsletter
(4) https://journals.sagepub.com/doi/10.1207/S15327957PSPR0402_02
(5) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S001002770700114X?via%3Dihub