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Warum es Klimaleugner gibt

Einige Menschen leugnen, dass es einen Klimawandel gibt. Obwohl 97% der in diesem Bereich forschenden Wissenschaftler*innen betonen, dass es den Klimawandel gibt, werden die Klimaleugner*innen scheinbar immer mehr. Warum gibt es diese Tendenz den Klimawandel zu leugnen?

Die wichtigsten Punkte:

  1. Ein grundlegendes Phänomen für die Tendenz zur Leugnung des Klimawandels dürften ‚Filterbubbles‘ sein. Damit werden Kommunikationsräume bezeichnet, die durch Algorithmen auf Social Media entstehen. In diesen Räumen finden sich häufig nur noch Menschen der gleichen Meinung, sodass die eigene Meinung nicht mehr hinterfragt wird.
  2. Ein weiterer Grund kann False Balance in der Medienberichterstattung, d.h. das Gleichgewichten von Pro- und Contra-Positionen sein. Während der Klimawandel in der Wissenschaft als eindeutig belegt gilt, bekommt man in der Berichterstattung manchmal ein anderes Bild vermittelt.
  3. Ferner sind kognitive Dissonanzphänomene mit für das Leugnen des Klimawandels verantwortlich. Wenn wir den Klimawandel anerkennen, schließt das oft einen Appell zu handeln mit ein. Wenn unsere alltäglichen Handlungen – z.B. häufiges Autofahren – diesen Appellen widersprechen, stellt sich ein unangenehmes Gefühl der kognitiven Dissonanz ein. Um dieses zu reduzieren wird gesagt, der Klimawandel sei gar nicht so schlimm.

Das Auftreten von Klimaskeptiker*innen

Es braucht nicht mehr als einen kurzen Tweet, um Millionen Menschen zum Kopfschütteln zu bringen.

„Das Konzept der globalen Erwärmung wurde von und für die Chinesen geschaffen, um die amerikanische Produktion wettbewerbsunfähig zu machen“. Mit diesem Tweet (1) vom 6. November 2012 sorgte Donald Trump weltweit für Schlagzeilen. 2019 verkündete er den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen. Einer Studie von mehr als 300 Wissenschaftlern, die vor langfristigen wirtschaftlichen Schäden durch vermehrt auftretende Unwetter warnen, will er keinen Glauben schenken (2). Natürlich stehen hier schlicht kurz- und mittelfristige ökonomische Interessen vor dem Blick in die Zukunft – politisches Kalkül, wirtschaftliche Überlegungen, Sturköpfigkeit, wie auch immer: Während die allermeisten Leser Nackenschmerzen vom vielen Kopfschütteln bekommen, gibt es doch einige Klimaskeptiker, die wie Trump nicht an den (menschengemachten) Klimawandel glauben wollen.

Woher kommt dieses Phänomen trotz erdrückend großer Übereinstimmung beinahe sämtlicher Wissenschaftler? Ein Erklärungsversuch.

Leben in der Blase

Mehr als jeder achte Deutsche informiert sich bei Facebook über das politische Geschehen (3) – natürlich nutzen viele davon auch noch andere Informationsquellen, wenn auch sicher nicht jeder. Hier und in anderen sozialen Medien kommen nun Algorithmen ins Spiel, die den Nutzern ihre sowieso schon präferierten Inhalte anzeigen lassen. Dadurch entsteht eine Art Informationsblase: Immer gleiche Inhalte werden angezeigt, die einseitig über ein Thema berichten. So kann es passieren, dass Nutzer immer wieder lesen oder hören, der Klimawandel sei eine Lüge. Hinzu kommt, dass vielfach gezielt Desinformation gestreut wird – wie auch die aktuelle Corona-Pandemie eindrucksvoll aufzeigt.

Facebook und andere Plattformen gehen mittlerweile – wenn wohl auch nicht bei jedem Thema – gezielt gegen Fake News vor und zeigen beispielsweise Links zu reliablen Informationsquellen. So auch Twitter: Wer Trumps Account besucht, wird eine Fülle an Hinweisen der Plattform finden, wenn Tweets “möglicherweise irreführend” sind. Außerdem soll eine künstliche Intelligenz Falschmeldungen herabstufen, sodass diese seltener gezeigt werden (4). Dass sich die Plattformen hier in einem komplizierten Balanceakt zwischen a) Verhindern von Desinformation und b) Zensur befinden, ist ein anderes Thema, zu dem ich kein Urteil abgeben will und kann.

Doch auch außerhalb von Social Media kann ein Umfeld herrschen, das Falschinformationen kultivieren kann: Wenn man unter Familienangehörigen, Freunden oder in einer politischen Gruppierung  von vielen Seiten einseitige Informationen erhält, glaubt man möglicherweise früher oder später selbst daran. Wer nicht kritisch hinterfragt und sich bei seriösen Quellen schlau macht, hat hier oft verloren.

Repräsentativität der Medienberichterstattung

Was Timon in seinem Artikel zur False Balance Media Coverage beschreibt, könnte in einigen Fällen auch beim Thema Klimawandel greifen. Knackpunkt ist das (vielleicht unbewusste) Bedürfnis, ein Thema möglichst ganzheitlich darzustellen. Dazu gehören bei einer Debatte auch gegenläufige Meinungen und Gegenargumente, also zum Beispiel Studien, die den Effekt des Klimawandels kleiner einschätzen oder Meinungen einzelner Politiker und Menschen des öffentlichen Lebens, die die Erderwärmung leugnen.

Nun ist es so, dass ein großer Konsens unter Klimaforschern herrscht: Der Klimawandel existiert, und er ist vom Menschen gemacht (5). Von Klimaskeptikern, die nur einen geringen Anteil der Klimaforscher ausmachen, könnte jedoch überproportional viel berichtet werden. Dadurch entsteht ein wahrgenommenes Meinungsbild der führenden Experten, das nicht dem tatsächlichen Meinungsbild bzw. dem wissenschaftlichen Stand der Fakten entspricht.

Natürlich ist klar, dass das mögliche Ungleichgewicht zwischen tatsächlicher und berichteter Expertenmeinung nicht erklärt, weshalb manche Menschen den Klimawandel komplett abstreiten. Ich denke aber auch, dass dies Klimaskeptikern insofern in die Karten spielt, als dass sie mehr Quellen mit Argumenten gegen den menschengemachten Klimawandel lesen, auf die sie sich berufen, nach dem Motto “Man kann alles mit Studien belegen”.

Missverständnis von Statistik

Bis 2100 wird die mittlere Erderwärmung auf etwa 1,8 bis 4,0 Grad Celsius prognostiziert, wie das Umweltbundesamt schreibt (6). “Nur zwei Grad, und das über einen so langen Zeitraum von 80 Jahren?”, mag sich einer denken. Intuitiv mag einem dieser Temperaturunterschied nicht viel vorkommen. Die meisten Leute sind wohl froh, wenn es im Freibad zwei Grad wärmer wird. Allerdings begeht man damit einen Fehler.

Die Aussage, es werde zwei Grad wärmer, trifft auf den „mittleren Klimawandel“ zu – das heißt aber nicht, dass es an jedem Flecken auf der Erde zwei Grad wärmer wird. So wird zum Beispiel angenommen, dass in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel eine Erwärmung um mehr als 6°C erreicht werden kann, anderswo wird es dafür kälter. Durch diese Varianz – sowohl zwischen den Regionen, Ländern, Kontinenten als auch innerhalb der Gesamtprognose – kommt es zu großen Unterschieden, wie sehr die Folgen des Klimawandels den Individualbereich einer Person betrifft. Ein Landwirt in Spanien würde vielleicht einen anderen Blick auf das Thema haben.

So einfach diese Erkenntnis ist, so häufig wird sie mitunter vergessen. Man kann auch sagen, dass hier fälschlicherweise Informationen aus dem statistischen Bereich unverändert in den Individualbereich übertragen werden – das sind zwei Begriffe, die Noelle-Neumann im Zusammenhang der Moralstatistik eingehend unterscheidet (7).

Einfach aus Trotz

Manche Menschen sind auch mit validen Argumenten nicht zu überzeugen. Die Konsequenz aus dem Klimawandel für uns alle ist, dass wir schonender mit Ressourcen umgehen müssen. Das Licht ausschalten, Wasser sparen, vielleicht mal mit dem Zug statt mit dem Auto fahren – das alles sind sinnvolle Maßnahmen, mit denen jeder Einzelne helfen kann, die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen. Allerdings schränken uns diese Maßnahmen auch ein – weil wir dann eben nicht nicht mehr bequem mit dem Auto zum Supermarkt in Fußnähe fahren sollten.

Wenn die Handlungsfreiheit einer Person eingeschränkt wird, reagiert diese häufig mit Reaktanz. Dabei muss die Handlungsfreiheit nicht tatsächlich eingeschränkt sein – trotz des Klimawandels ist es weiterhin erlaubt, auch dann Auto zu fahren, wenn das Ziel auch zu Fuß erreichbar ist. Um Reaktanz zu bilden, genügt es meist auch, dass man sich in seinem freien Denken eingeschränkt fühlt. Wer nicht an den Klimawandel glaubt und liest, dass er auf jeden Fall existiert, wehrt sich dagegen, diesen Fakt anzunehmen – denn er widerspricht dem eigenen Wunsch, entweder nicht an den Klimawandel zu glauben oder dem Wunsch, weiterhin Urlaub auf Bali zu machen.

Insofern handelt es sich auch um einen psychologischen Schutzmechanismus: Wer um den Klimawandel weiß und trotzdem umweltschädigendes Verhalten zeigt, erlebt einen unangenehmen Gefühlszustand, der in der Sozialpsychologie als kognitive Dissonanz bezeichnet wird (8): Er entsteht durch einen Bruch zwischen der Kognition (also dem Wissen um den Klimawandel und was man dagegen tun kann) und dem Verhalten (das heißt zum Beispiel dem umweltschädigenden Konsum). Hier gibt es zwei Lösungen: Entweder, man verhält sich umweltfreundlich und bringt Kognition und Verhalten dadurch in Einklang, oder man besteht darauf, dass der Klimawandel nicht existiert. Beide Lösungen bringen Verhalten und Kognition in Einklang, wodurch der unangenehme Gefühlszustand verschwindet. Welche Lösung die richtige ist, sei dem Leser an dieser Stelle selbst überlassen.

von Benjamin Schätzlein

Quellen

(1) https://twitter.com/realDonaldTrump/status/265895292191248385

(2) https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-11/nca-bericht-trump-studie-oeko-no-mischen-folgen-klimawandel

(3) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/732226/umfrage/nutzung-von-social-media-als-nachrichtenquellen-zum-politischen-geschehen/

(4) https://netzpolitik.org/2020/wie-die-plattformen-durchgreifen-und-welche-fragen-das-aufwirft/

(5) https://www.klimafakten.de/behauptungen/behauptung-es-gibt-noch-keinen-wissenschaftlichen-konsens-zum-klimawandel

(6) https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimawandel/zu-erwartende-klimaaenderungen-bis-2100

(7) Noelle-Neumann, E. (1998). Alle, nicht jeder. Einführung in die Methoden der Demoskopie. Deutscher Taschenbuch Verlag. (S.29)

(8) Aronson, E., Wilson, T. D. & Akert, R. M. (2004). Sozialpsychologie. Pearson Studium. (S.188)